Historische Ereignisse
Vor
70 Jahren:
Verstaatlichung (Nationalisierung) der Firma AERO -
de facto am
25.10.1945
Hinweis
Diese
Abhandlung wurde zusammengestellt von Michael Strauch aus Auszügen von
Veröffentlichungen und Informationen sowie Stellungnahmen, Äußerungen
und Meinungen von Herrn JUDr. Kabes jun. (Firma Aero), Herrn Jaroslav
Matoulek (Mitautor von “Kbely, letiste na okraji Prahy”), Herrn
Karel Jicinsky (Autor “Automobily Aero a jejich doba”), Herrn Dr.
Jirka Pollak (Motorjournalist), Herrn Josef Knourek (ACC Praha,
Redakteur Aerovkar) und Herrn Karel Sebesta (ACC Praha). Ich bedanke
mich für die Unterstützung bei den oben genannten Personen recht
herzlich, insbesondere bei Herrn Jaroslav Matoulek für seine ausführlichen
Darlegungen der Situation bei der Verstaatlichung der Flugzeugindustrie.
Allgemein
Es
gab für die Reorganisation und Nationalisierung der Auto- und
Flugzeugindustrie zwei Schlüsseldekrete (Dekrete des Präsidenten
Edvard Beneš) im Jahre 1945,
die Dekrete DPR Nr.
5/1945 und DPR Nr. 100/1945 (DPR =
Dekret des Präsidenten
der Republik). Betroffen waren
2868 Großbetriebe. In diesen Unternehmungen (über 500 Angestellte) gab es Betriebsräte und es formten sich Organisationen
wie der Betriebsausschuss (ROH
= Gewerkschaftliche Revolutionsorganisation), bestückt mit
Personen aus der Kommunistischen Partei. Die
Nationalisierung an sich sollte nicht den Abgang der Eigentümer aus den
Unternehmungen bedeuten, besonders derjenigen, die das betreffende
Unternehmen leiteten.
Anders war es
bei kleinen Unternehmungen. Die wurden erst nach Februar 1948
verstaatlicht und bis dahin war hier die Situation günstiger. Es wäre
aber irrtümlich vorauszusetzen, dass all diese Veränderungen
unmittelbar nach dem kommunistischen Umsturz durchgelaufen sind. Der
Prozess dauerte bis in die Hälfe der Fünfzigerjahre und die Übernahme
der Unternehmungen fing zuerst mit den großen Firmen an. Als letzte kamen
Gewerbsleute an die Reihe, die allein arbeiteten. Im Unterschied zu den
Nachbarstaaten, die unter dem Einfluss der UdSSR standen, war die
Tschechoslowakei wahrscheinlich die einzige, wo private Unternehmen völlig
ausgerottet wurden.
Zeitliche
Einordnung von Einzelereignissen
Einen Tag nach der deutschen
Kapitulation im Mai 1945 “befreite“ die sowjetische Armee
Prag und die Exilregierung kehrte aus London zurück.
Das Dekret DPR Nr.
5 vom 19.05.1945 löschte einige Besitz- und juristische Handlungen
aus der Zeit der Unfreiheit (Protektorat) und auch die der
Nationalverwaltung der Güter der Deutschen, Ungaren, Verrätern und
Kollaboranten wie auch einiger Organisationen und Instituten.
Am 13. 06.1945 erlies der Industrieminister Bohumil
Lausman, gestützt auf das Beneš-Dekrets Nr. 5, dass in 24 bedeutenden
Industriebetriebe eine provisorische Nationalverwaltung einzusetzen ist.
Im § 3 heißt es ausdrücklich: "Die Nationalverwaltung ist in
alle Betriebe einzusetzen, wo es die Aufrechterhaltung eines störungsfreien
Betriebes und wirtschaftlichen Lebens erforderlich macht, im Speziellen
in Betrieben die in den Händen von "staats-unzuverlässigen"
Personen sind." Zu diesen Betrieben ist auch
Aero höchstwahrscheinlich zu zählen.
Das Dekret DPR Nr. 100/1945 vom 25.08.1945 sah die Nationalisierung der Banken, Bergwerke und der
Schwerindustrie mit mehr als 500 Mitarbeiter vor.
Am 13.09.1945 entstand in der Regierungssitzung ein Streit über das
Ausmaß der Verstaatlichung.
Am
19.10.1945 war es so weit, ergänzt noch über die juristische Regelung
des Strafmasses bei Behinderung der Verstaatlichung.
Am
23./24.10.1945
unterschrieb Präsident Beneš
die Dekrete, die am 25.10.1945 in Prag auf dem Wenzelsplatz zur Veröffentlichung
gebracht wurden.
Am
28.10.1945 - ironischerweise
am Tag der tschechischen Unabhängigkeit 1918 - wurde dieses Dekret
veröffentlicht, wonach alle Banken, Versicherungen, Bergwerke und
Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, einschließlich der
Automobil- und Flugzeugindustrie, verstaatlicht wurden.
(Ausführung von Kabes jun.)
Am 16.11.1945 beschleunigte ein Regierungserlass, die Bildung eines
Einheitsbetrieb "Tschechoslowakische Betriebe des Metall- und
Maschinenbaus, volkseigener Betrieb CZKS".
Am gleichen Tag (16.11.1945) fuhr Herr Kabes jun. noch mit dem Pony
bei einer offiziellen Veranstaltung. Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht
promoviert,
er trug noch den Titel JUC. Herr Kabes jun. promovierte noch im November
1945.
Am
09.01.1946 erschien ein Artikel im „Rude Pravo“ (Rotes
Recht) über „Missstände“ die auch in Aero herrschen:
Verstaatlichung nicht in der Praxis vollzogen...
Herr Kabes sen. soll die Zeitung mit diesem Artikel gelesen haben, die
Zeitung abgelegt, seinen Mantel genommen und für immer die Firma Aero verlassen
haben.
Am
25.02.1946 schrieb JUDr. Kabes jun. eine Mitteilung an die
Arbeiterschaft in der Firma, dass er die Firma verlassen werde. Unter
dem politischen Druck kündigte er zum 30.06.1946 (?).
Am
07.03.1946
gründete der Minister Lausman per Dekret Nr. 1377 de facto die "Flugzeugwerke,
Volkseigener Betrieb",
das im Amtsorgan erst am 16.05. oder 01.06.1946 veröffentlicht
wurde. In
die neu gegründete Firma Letecke zavody (= Flugzeugwerke, weiter nur LZ
n.p.) wurden alle Aktiva der AERO, Csl. Flugzeuge Letnany, Walter
AG, Jinonice, die Tschecho-moravische AG für Fahrzeugbau und Unterhalt
in Karlin, Auto und Flugzeugwerke in Liben, Vysocany, Kbely, Malesice
und Fahrzeug-Reparaturwerke in Hradec Kralove, Brno, Mährisch Ostrau
und Uherske Hradiste eingegliedert.
Am
28.03.1946 stimmt die tschechoslowakische provisorische
Nationalversammlung diesen Verstaatlichungsgesetzen zu und
verabschiedete das Verfassungsgesetz Nr. 57/1946
Sb.,
das alle präsidialen Dekrete zu Gesetzen
machte
und
somit Bestandteil der Gesetze- und Verordnungssammlung in der Verfassung
wurde.
Am 02.03.1947 verstarb JUDR Kabes sen. mit gerade mal 60 Jahren
an Krebs.
Im
Jahr 1948 emigrierte Herr Kabes jun.
nach Deutschland, wo er bis 1950 bei der amerikanischen Verwaltung arbeitet, mit seiner Familie lebte er zeitweise in Deutschland, in der
Schweiz und in den USA.
Am
25.02.1948, bereits schwer krank, nahm Präsident Beneš unter Druck
das Rücktrittsangebot der nichtkommunistischen Minister an und ermöglichte
damit die Machtergreifung durch die Kommunisten.
Im
Mai 1948 verweigerte Beneš noch die Unterschrift unter die neue
kommunistische Verfassung,
am 07.06.1948 trat er zurück. Sein Nachfolger wurde Klement
Gottwald (Vorsitzender
der Kommunistischen Partei und Vorsitzender der Nationalen Front).
Am 12.04.2009
verstarb Herr Kabes jun. im Alter von 91 Jahren in seiner Wahlheimat USA.
Ergänzung
Die
Firma Carrosserie Sodomka Vysoké Mýto erfüllte nicht die Kriterien
der Nationalisierung (hatte weniger als 500 Angestellte). Nationalisiert
wurde sie daher erst am 28. Juni 1948 auf Grund der
Verfügung K.
Nr. 1420/1948. Auch nach der Verstaatlichung behielt J. Sodomka den
Direktorsposten, da er sich einer großen Unterstützung der
Angestellten (angeblich auch der dortigen Kommunisten) freute. In
den Fünfzigerjahren war es aber für die Kommunistische Partei
undenkbar, dass ein ehemaliger Besitzer diese Funktion bekleiden könnte
und so musste man irgendeine staatsfeindliche Aktivität inszenieren und
ihn dafür verurteilen. So ist es übrigens Tausenden von talentierten
Leuten ergangen.
Folgerungen
Es konnte bisher kein einziges Dokument gefunden werden, mit dem
ausdrücklich die Firma Aero ab einem bestimmten Datum verstaatlicht
(nationalisiert) wurde. Damit gilt de facto und de jure der 25.10.1945
(Veröffentlichung der Dekrete) als Datum für die Verstaatlichung der Firma Aero, an
dem
der Präsident Dr. Edvard Beneš
die Dekrete DPR
Nr. 5/1945 und 100/1945 (eines der beiden Dekrete ist mit großer
Wahrscheinlichkeit die rechtliche Grundlage für die Nationalisierung
von Aero) nach der Unterzeichung veröffentlichte, auch wenn erst am 28.03.1946 die tschechoslowakische, provisorische
Nationalversammlung diesen Verstaatlichungsgesetzen zustimmte.
Dies ist meine Bewertung und Einschätzung.
Stand: 03.12.2014
Verfasser:
Michael Strauch
Über historischen Ereignisse im Zusammenhang mit
der Firma Aero sind weitere Informationen unter dem Button "Firmenbiografie"
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